ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel
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mit Boris Kochan und Freunden am 6. April 2023 |
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{% if data:du_version:"" %}[[data:du_version]],{% elseif data:anrede == "Herr" %}Lieber Herr [[data:lastname]],{% elseif data:anrede == "Frau" %}
Liebe Frau [[data:lastname]],{% else %}Sehr geehrte Damen und Herren,{% endif %}
ist Ihnen auch schon aufgefallen, »dass der Wandel sich meistens irgendwie rückwärts ereignet? Also nicht durch Vorausschau und Planung, sondern durch nachträgliche Akzeptanz?« Ausgerechnet der berufsmäßig mit Vorhersagen beschäftigte Trendforscher Matthias Horx weist auf dieses Wandel-Paradoxon in seiner aktuellen Zukunfts-Kolumne hin und führt eine ganze Reihe von Beispielen vom Rauchverbot in Restaurants über die Gurtpflicht bis zur Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe auf, die sich heute ganz selbstverständlich anfühlen. Zuerst aber wurde das Neue zumeist ins Lächerliche gezogen, als absurd abgetan und heftig bekämpft. Oftmals setzen gerade diejenigen, die besonders laut dagegen waren, das Undenkbare um – man erinnere sich nur an die gleichgeschlechtliche Ehe oder den deutschen Atomaustieg nach Fukushima. Aus einer gründonnerstäglich hoffnungsfroh gefärbten Perspektive scheinen eine ganze Reihe von Frühlings-Zwischenrufen zu stammen, die den Blick auf das Positive richten wollen. Auch die band-eins-Chefredakteurin Gabriele Fischer führt in dieser Woche ihren Newsletter Unter uns mit einer Äußerung des Chefs des amerikanischen Outdoor-Ausrüsters Patagonia, Ryan Gellert, ein: »Wir haben das Recht verloren, pessimistisch zu sein«. Sie kann dieses ewige Gejammere, dieses Alles wird immer schlimmer! einfach nicht mehr hören. Und verweist auf die präjudizierende Wirkung. Dabei gehört die Auseinandersetzung, der Streit entscheidend dazu, uns auf das Neue vorzubereiten: Leider scheint nur so das Unmögliche in das Mögliche zu diffundieren. Alles also eine Frage der Wahrnehmung? Pablo Picasso, dessen Todestag sich gerade zum 50. Mal jährt, hat da eine durchaus tröstliche Haltung: »Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.« Ich wünsche Ihnen ein paar ruhige Ostertage mit Jean Paul: »Das Schöne am Frühling ist, dass er immer dann kommt, wenn man ihn am dringendsten braucht.« Boris Kochan
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Greinend Leid, grüne Anmut |
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Es gibt nur zwei Kategorien von Frauen, soll Pablo Picasso einmal gesagt haben: Göttinnen und Fußabstreifer. Picasso vergötterte und dekonstruierte die Frauen. Seine Beziehungen können als toxisch beschrieben werden. Noch während seines Liebesverhältnisses zu Marie-Thérèse Walter zettelt Picasso um 1936 eine jahrelang geheim gehaltene Beziehung mit der etablierten Fotografin Dora Maar an. Picasso erlebt die politischen Diskussionen mit ihr als inspirierend. Sie, Muse, Modell, Geliebte, treibt ihn zu seinem Monumentalgemälde Guernica und dokumentiert den gesamten Entstehungsprozess. In der Figur der Frau (am linken Bildrand), die um ihr totes Kind trauert, wollen einige Dora Maar erkennen. Er portraitiert sie danach mehrfach als Weinende Frau – Mater dolorosa, Pieta, Urbild des Schmerzes.
1943 begegnet der 61-jährige Picasso Françoise Gilot. Sie ist 21, begabt, mit starkem eigenem Willen. Er zeichnet sie zärtlich, schmal, hochgewachsen, vegetabil. Ihre Haare formt er zu grünen Blättern. Schön ist sie, La femme-fleur, die Frühlingsbotin, die Blumenfrau. Umgeben von Picassos Haupt- und Nebenfrauen, Gespielinnen und Affairen werden die beiden ein Paar, zeugen Kinder, Claude und Paloma. Und bleiben fast zehn Jahre zusammen. Immer wieder Aktion und Reaktion – die Achtung schwindet. In einer der letzten Szenen soll Picasso zu Françoise gesagt haben: »Du bist nicht mehr als der Staub auf dieser Treppe.« Und sie: »Ich verschwinde von selbst. Mich musst Du nicht wegkehren.« Françoise zieht mit den Kindern zunächst nach Paris, entwickelt sich zur etablierten Malerin. In tiefen Gesprächen mit dem Journalisten Malte Herwig entsteht das Buch Die Frau, die Nein sagte. Picasso wütet. Françoise arbeitet unbeirrt weiter. Ihr Gemälde Paloma à la Guitare wird 2021 bei Sotheby's für über eine Million Dollar versteigert. Wer die heute über Hundertjährige sieht, wird die Blumenfrau entdecken. [gw]
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Runde 1,97 Milliarden Dollar beträgt der Gesamtwert der elf teuersten Gemälde der Welt. Nur so zum Vergleich: Das ist ziemlich genau doppelt so viel wie der Wert des gesamten Männer-Kaders des FC Bayern. Kunst schlägt Fußball. Da kann man schon verstehen, wenn die Jungs frustriert sind und mal eben ein Pokalspiel verdöddeln. Den dritten Platz des Gemälde-Preis-Rankings belegt mit 179,4 Millionen Dollar übrigens ein Picasso. Les femmes d´Alger (Version 0) aus dem Jahr 1954/55 heißt das Bild, das Picasso seinem Freund und Langzeitrivalen Henri Matisse gewidmet hat, der im November 1954 gestorben war. Picasso, der Egomane, dionysisches Genie und Monster, wie sein 20 Jahre jüngerer Kollege Alberto Giacometti ihn nannte, dieser Picasso verehrte Matisse wie keinen anderen Maler: »Im Grunde gibt es nur einen, Matisse«, war Picassos Credo und das, wo Matisse doch so ganz anders war. Schwelgerisch, heiter, in den Farben von unerhörter Leuchtkraft, wie in seinem Gemälde Der Tanz – ein ausgelassener Reigen in Rot, Blau und Grün. »Wenn du in Matisses Werk drei Töne findest, die nahe beieinanderliegen – sagen wir ein Grün, ein Violett und ein Türkis –, dann beschwört ihre Verbindung eine andere Farbe herauf, die man die Farbe nennen könnte.« Sprache der Farbe nannte Picasso die Malerei Matisses, während er für sich selbst ziemlich nüchtern reklamierte: »Die Tatsache, dass sich auf einem meiner Bilder ein gewisser roter Fleck befindet, ist nicht das Wesentliche des Bildes.« Matisse war übrigens der Meinung, dass »ein Gemälde an der Wand (…) wie ein Blumenstrauß im Zimmer« wirken sollte, während Picasso dagegenhielt: »Die Malerei ist nicht dazu da, Wohnungen zu schmücken. Sie ist eine Angriffs- und eine Verteidigungswaffe.« Gegensätze, die grabentief unüberbrückbar scheinen, und doch war da diese Zuneigung und wechselseitige Faszination, als hätte jeder im anderen auch das Andere in sich selbst gesucht. [um]
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Alberto Giacometti und Pablo Picasso, zwei Alpha-Tiere der modernen Kunst, haben sich eine ganze Weile lang regelmäßig zum Essen getroffen. Ob das eine Freundschaft genannt werden kann, weiß man nicht genau. Zumindest aber war es eine gute Bekanntschaft, die aus unbekannten Gründen ziemlich abrupt in die Binsen ging. Giacometti, dem ewig schwierigen, schrulligen Exzentriker hat Stanley Tucci einen äußerst unterhaltsamen Spielfilm gewidmet. Mit einem hinreißenden Geoffrey Rush als Giacometti, dem der junge Kunstkritiker James Lord Portrait sitzt. Final Portrait beruht auf einer wahren Begebenheit – ein tragikomisches Kammerspiel par excellence.
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Mit feuerflammender Mähne und Gewitterwolke als Lendenschurz thront er furchterregend auf seinem Donnerwagen, dem die beiden Ziegenböcke Zahnknirscher und Zahnknisterer vorgespannt sind. Den magischen Kampfhammer in der eisern behandschuhten Hand, rast Donar, Odins Sohn, Gott des Luftkreises, des Wetters, der Geister, Herr der Natur, dem Kampf gegen die übermächtigen Riesen entgegen. Nach dem germanischen Gott ist der Donnerstag benannt, und immerhin hat er die (Finanz-)Riesen 1929 mit dem Börsenkrach am Schwarzen Donnerstag in New York ganz schön niedergeknüppelt. Versagt hat er allerdings in den 90er-Jahren gegen die Riesen der Arbeitswelt: Die haben nämlich ausgerechnet an seinem Namenstag das Ladenschlussgesetz ausgehebelt, als sie den Langen Donnerstag einführten. Erstaunlicherweise hat gerade die Kirche Erbarmen und hält einige Donnerstage arbeitsfrei, geschmückt sogar mit heidnischem Gepräge: Christi Himmelfahrt, Fronleichnahm und natürlich Gründonnerstag als Gedenktag für das letzte Abendmahl Christi.
Noch heute geht in Ribbesbüttel der Brauch, am Gründonnerstag eine Suppe aus Taubnessel, Spinat, Körbel, Pimpinelle, Giersch, Sauerampfer, Braunkohl, Kuhblume und Porree zu kochen, um stark wie Donar zu werden, und um Mitternacht wird alles Wasser dort zu Wein. (Okay, hier sind die Koordinaten der Ortschaft: 52.432312, 10.510578). Am Rhein kann sich vor Zahnschmerzen schützen, wer an jenem Tag fastet. Und in der Wetterau schlüpfen aus Eiern des Gründonnerstag-Geleges nicht nur Hühner, die jährlich ihre Farbe wechseln, sondern sie taugen auch, um Hexen zu entlarven. Donnerstags sollte man in Berlin – nicht nur vor Ostern – die Lieblingsspeise von Donars Schützlingen, den Zwergen essen: Erbsen. In Paris gilt anscheinend eine abgewandelte Regel: Hier sollte man sich donnerstags Gemälde einverleiben, auf denen Erbsen abgebildet sind – entsprechend getimet war der spektakuläre Kunstraub, bei dem Picassos Le pigeon aux petits pois (Taube mit grünen Erbsen) entwendet wurde. Wobei der Zeitpunkt vielleicht nur eine Hommage an den Künstler war, der dem Donnerstag, Donartag, dem Doramaartag ja zumindest zeitweise sehr verbunden war. [sib]
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In der 8daw-Ausgabe
BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir uns unter anderem mit dem
Thema geschlechterspezifische Schreibweise beschäftigt. Im Ergebnis fanden
wir die Empfehlung eines Lesers für uns am geeignetsten: »Der Mittelpunkt
(MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *,
stört jedoch deutlich weniger den Lesefluss der Leser·innen,
weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Textlücken reißt wie der
Gender_Gap. Im Hinblick auf Lesbarkeit und Typografiequalität also eine
bessere Alternative, und inhaltlich – als Multiplikationszeichen
verstanden – treffend. Oder?« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch
frei, ob sie den Mittelpunkt oder eine andere Form benutzen.
Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechtsneutral
zu verstehen.
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8daw ist der
wöchentliche Newsletter von Boris Kochan und Freunden zu Themen rund um den
Wandel in Gesellschaft, Kultur und Politik, Unternehmen und Organisationen.
Er erscheint in Verbindung mit Kochan & Partner und setzt so die
langjährige Tradition der Netzwerkpflege mit außergewöhnlichen
Aussendungen in neuer Form fort. 8daw versteht sich als Community- und
Kollaborations-Projekt insbesondere mit seinen Leser·innen –
Kooperationspartner sind darüber hinaus zum Beispiel die GRANSHAN Foundation, die
EDCH Foundation, der Deutsche Designtag (DT), der BDG Berufsverband der Deutschen
Kommunikationsdesigner und die Typographische Gesellschaft München (tgm).
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Herausgeber und
Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts
ist Boris Kochan [bk], Steinerstraße 15c,
81369 München, boriskochan.com,
zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900
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in Verbindung mit Kochan & Partner
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Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk]; Homepage und Newsletter-Technik: Pavlo Kochan [pk]; Basisgestaltung: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger, beide zu beziehen über TypeTogether; Versand über Mailjet.
Bildnachweis: Bilder von Loes Heerink
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Ausgabe: #104
Erschienen am: 6. April 2023 [KW14]
Thema: Gründonnerstag & Pablo Picasso
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