ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel
|
mit Boris Kochan und Freunden am 28. Juni 2025 |
|
{% if data:du_version:"" %}[[data:du_version]],{% elseif data:anrede == "Herr" %}Lieber Herr [[data:lastname]],{% elseif data:anrede == "Frau" %}
Liebe Frau [[data:lastname]],{% else %}Sehr geehrte Damen und Herren,{% endif %}
diese klammheimliche Bewunderung für die jahrelange Vorbereitung und Präzision des israelischen Überfalls auf den Iran vor nur etwas mehr als zwei Wochen. Die sich wiederholende Erkenntnis, dass die Idee einer regelbasierten durch eine rein macht- und interessengeleitete Weltordnung abgelöst wurde – und Völkerrecht etwas sehr Relatives ist. Oder vielleicht auch gar nichts mehr bedeutet. Diese mich an mir selbst überraschende stille Zustimmung zur Merz’schen Formulierung, Israel erledige die Drecksarbeit für uns (wer ist uns eigentlich?). Der besorgte Kontakt zu Freunden in Israel und zu den (durchgängig nicht mehr im Land lebenden) iranischen Kolleginnen und Kollegen aus der Typoszene. Das bis vor Kurzem wenig geläufige Wort: bunkerbrechend. Die Erinnerung daran, dass der Iran mit einer touristischen Außenstelle des Konsulats beinahe einmal Untermieter geworden wäre – bei uns in der Hirschgartenallee. Die Diskussionen mit iranischen Type Designern über die großen Unterschiede zwischen dem Arabischen und dem Persischen. Dieser unerwartete auf Trumps Social-Media-Plattform Truth Social diktierte Waffenstillstand. Diese trügerische Ruhe … im Wissen um die garantierte nächste Eskalation, wann und wo auch immer: flood the zone with shit. In mir sind unendlich viele Fragezeichen – auch, weil ich kaum noch etwas von dem glaube, was ich jeden Tag stundenlang lese. Wir sind so unendlich gefangen in unseren erlernten Sichtweisen (schon mal eine Weltkarte aus der Sicht Indonesiens angeguckt?) … und in der Sehnsucht danach, Komplexität zu reduzieren. »Wir leben in einer wahnwitzigen Zeit, die Irren machen die Regeln. Da müssen wir hin und wieder aus dem Fenster klettern.« In einem berührenden Portrait im SZ-Magazin hat die Schriftstellerin Cornelia Funke diese Mut machende Perspektive formuliert – und damit der Idee des Alternativlosen eine so pragmatische wie augenzwinkernde Absage erteilt. Es war schon vor Angela Merkel die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die 1980 ihr politisches Handeln derart zu legitimieren versuchte – berühmt geworden als TINA-Maxime – There Is No Alternative. Dabei ist, so der Soziologe Ulrich Beck 2013, der Begriff der Alternativlosigkeit »der Tod des politischen Denkens«. Der viel zu oft geglückte Versuch, demokratische Auseinandersetzung durch vermeintlich technokratische (oder kapitalistische) Sachzwänge zu ersetzen, führt geradewegs in eine Entdemokratisierung der Politik durch Märkte, so Jürgen Habermas in den Blättern für deutsche und internationale Politik. Je komplexer die Lage, desto größer die Sehnsucht nach Eindeutigkeit. Alternativlos ist der (nicht nur) kleine Anfang von Despotismus, Autokratie und schließlich Diktatur. Totalitäre Herrschaft beginne dort, wo die Komplexität der Wirklichkeit durch eine allumfassende Ideologie ersetzt werde – dieser Gedanke von Hannah Arendt lässt sich leider nur allzu gut in den USA verfolgen, und nicht nur dort. »Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist bedroht, immer mehr Menschen in Deutschland erleben einen Verlust von Verbundenheit – mit der Gesellschaft, der Politik und Menschen außerhalb des eigenen Nahbereichs. 87% nehmen eine wachsende Trennung und Vereinzelung in der Gesellschaft wahr, die sie besorgt.« Ein Wir-Gefühl ist verloren gegangen – und kaum jemand glaubt daran, dass sich dies in den nächsten zehn Jahren verbessern wird (was ich als das eigentlich Erschreckende empfinde). Das Rheingold-Institut hat in seiner aktuellen Verbundenheitsstudie den weiter zunehmenden Rückzug in die Selbstbezüglichkeit herausgearbeitet. Insbesondere im Digitalen »kommt es zu sozialen Bollwerken: Die Gemeinschaften werden immer hermetischer und bilden eine Wagenburg-Mentalität aus. Menschen aus dem sozialen Umfeld, die anstrengend oder anderer Meinung sind, werden oft aussortiert und gemieden. 84% der Befragten stimmen zu, dass Menschen mit unterschiedlichen Meinungen kaum noch aufeinander zugehen.« Zugleich konstatiert der Gründer des Rheingold-Instituts, Stephan Grünewald, dass wir verblüffende Strategien entwickelt haben, zu Krisenakrobaten geworden sind, und neu lernen, mit den Veränderungen umzugehen und neue Zuversicht zu gewinnen: In diesem »Drahtseilakt voller Risiken« sieht er große Chancen für jeden Einzelnen und die Gesellschaft. Der Mensch kann nicht nicht gestalten – in der Gestaltung von Zukunft, im Erkennen und Nutzen von Möglichkeitsräumen, irgendwo zwischen gesellschaftlichem Wandel und technologischem Umbruch, im Mut zum Experiment liegt Hoffnung: Einfach mal aus dem Fenster klettern! Große Ermutigung zum Drahtseilakt! Boris Kochan
|
|
Nun ist der Grund für die lange Erscheinungspause von 8daw auch bereits wieder sieben Wochen alt: der erste Bundeskongress Design unter dem Titel DIVE’25 vom 8. bis 10. Mai 2025 hat alle Ressourcen (nicht nur bei mir) gefressen. Es war ein lohnenswertes Investment, auch wenn ich unter der fehlenden hintergründigen Beschäftigung in unseren 8daw-Streifzügen gelitten habe: Der Kongress war ein großer Erfolg, mehr dazu findet sich im mittlerweile erweiterten Live-Blog.
|
|
Schmerzhaft bohrten sich Nägel in die Fußsohlen des Publikums: In ihrer ersten Solo-Ausstellung Registro 6: Manglar (Paris, 2023) forderte Carlota Guerrero Besucherinnen und Besucher auf, die Schuhe auszuziehen und barfuß auf einem Nagelbrett Platz zu nehmen. Während sich vor ihren Augen die ästhetischen, fast schon ätherischen Bilder der spanischen Fotografin, Filmemacherin und Art-Direktorin entfalteten, machte Carlota Guerrero die Betrachtenden zu Teilnehmenden, die den Schmerz mitfühlen. Als physische Metapher für den hohen Preis, den vor allem Frauen oft für Schönheit und Intimität zahlen. Im Zentrum von Carlota Guerreros Bildern stehen fast immer Frauen, sie will eine neue Bildsprache des Weiblichen schaffen: eine Art symbolische Wiedergutmachung für all das, was in der Vergangenheit so schiefgelaufen ist. Bekannt wurde die Mittdreißigerin mit ihrem Foto von Solange Knowles Albumcover A Seat at the Table. Die Nahaufnahme der Sängerin strahlt so viel Kraft, Stolz und zugleich Verletzlichkeit aus, dass internationale Künstler und Global Brands auf die junge Künstlerin aufmerksam wurden. Carlota Guerreros Werke sind sinnlich, ästhetisch und faszinierend; mystisch und zeitlos. Mehr als 250 davon kann man in dem Bildband Tengo un dragón dentro del corazón – Ich habe einen Drachen im Herzen entdecken – ganz ohne (physische) Schmerzen.
|
|
Drei Tage Auszeit. Abtauchen. Aus der Sehnsucht nach dem besseren Leben, einem Leben, das die Bedarfe der Mitmenschen und der Umwelt mitbedenkt, verbinden sich auf der DIVE’25 vibrierende Fäden zu immer neuen, oszillierenden Mustern. Mein Tauchgang spielt mir zwei Begriffe zu: Das Dunkle und … das Schöne. In verschiedenen Vorträgen und Gesprächen zeigen sie sich – auch gemeinsam. Etwa wenn Thilo von Debschitz im Vortrag Das Unterwasser-Kabarett vom erschütternden Schicksal Curt Blochs erzählt und aus den kleinen Magazinen des Untergetauchten Spott, Verzweiflung, Hoffnung aufsteigen. Und Poesie … Im Zweiten Surrealistischen Manifest schreibt André Breton: »Das Problem der Frau ist auf dieser Welt das wunderbarste und beunruhigendste. Und das insofern, als uns der Glaube dahin zurückführt, dessen ein unverdorbener Mensch fähig sein sollte. Ein Glaube nicht nur an die Revolution, sondern auch an die Liebe ... Ja, ich glaube immer schon, dass der Verzicht auf die Liebe eines der selten unsühnbaren Verbrechen darstellt.«
Luisa Neubauer erzählt in ihrem Vortrag vom langen Atem, der notwendig ist, um gegen die immer gleichen Ausreden aufzustehen, immer und immer wieder. Solche Energie speise sich aus Freude, Zugehörigkeit, Schönheit. Sie gebraucht das Bild der Rosen. Und bezieht sich auf den Slogan Brot und Rosen, den 1912 die New Yorker Gewerkschafterin Rose Schneidermann formulierte: Textilarbeiterinnen nutzten ihn als Streikparole und forderten nicht nur menschenwürdige Arbeitsbedingungen, sondern auch ein besseres, schönes Leben: Rosen. (Hier das Schlüssellied aus dem queeren, mehrfach ausgezeichneten Film von 2014 Pride.) Noch einmal Breton, der in Nadja schreibt: »Weder dynamisch noch statisch sehe ich die Schönheit, sondern so, wie ich dich gesehen habe.« [gw]
|
|
»Wer das Schöne sucht, macht sich verdächtig, einer katastrophischen Welt zu fliehen, die hässliche Wirklichkeit zu entwirklichen«, schreibt der Autor und Rechtsanwalt Goedart Palm in der wohl nur zwischen 1997 und 2012 erschienenen elektronischen Zeitschrift für Kulturen, Künste, Literaturen namens parapluie. Mir scheint eher, das Dunkle und das Schöne wären aneinandergebunden wie Tag und Nacht. Es ist möglich, im Dunklen das Helle mitzubedenken, im Frostigen die Wärme, den Gegenentwurf zu Money aufzufalten – wie in in Pink Floyds The Dark Side of the Moon.
|
|
Mit Teddybär in die Zukunft |
|
Inkompetenzkompensationskompetenz, der Begriff, mit dem Odo Marquard ironisch die Weltbewältigungsversuche seines Fachs Philosophie beleuchtete, ist nur einer der bemerkenswerten Gedanken des Essayisten, der sich scharfsinnig auch mit dem Thema auseinandersetzte, was Menschen brauchen, um sich Innovationen zu öffnen. Und das rasend schnell anbrandende Neue in den behäbigen Rhythmus der eigenen Welt zu integrieren. In Zukunft braucht Herkunft, schreibt er, Kinder nähmen ins Unvertraute als »eiserne Ration an Vertrautem« ihren Teddybären mit, um den Vertrauensverlust auszugleichen … Erwachsenen müsse man also stets ein bisschen Vergangenheit mitgeben in die Zukunft. Wohl deshalb verpacken Designer künstliche Intelligenz gern in humanoide Gestalt, um mehr Akzeptanz bei den menschlichen Nutzern zu gewinnen. Wobei neuronale Netzwerke auch innerlich dem Menschen ähnlicher sind, als man gemeinhin denkt. Bei der Analyse des Kunstgenerators DeepDream etwa zeigt sich, dass die Maschine auf dem Weg zum Zielbild beim Durchforsten der eingespeicherten Bilddatenbanken weit über das hinausschweift, was eigentlich auf dem direkten Weg läge – ein Prozess, den man beim Menschen als Kreativität bezeichnet.
Insofern liegt es nahe, dass KI durchaus fähig ist, Probleme zu lösen, indem sie das eingespeiste Datenmaterial im wahrsten Wortsinne ab-wegig kombiniert. Sie kann also mehr, als lästige Routinearbeiten übernehmen, kann mehr sein als bloßes Werkzeug. Forscher des Max-Planck-Instituts haben festgestellt, dass künstliche Intelligenz kulturelle Evolution beschleunigen kann, dass sie Menschen dabei unterstützen kann, weitsichtige Entscheidungen zu fällen, und dass sie zielorientierte Lösungsansätze liefert, die von Menschen übernommen werden können, wobei also der Mensch von der Maschine lernt, wo es bisher umgekehrt war. Das mag gut so sein. Denn um noch einmal Odo Marquard zu bemühen: »Es existieren menschliche Probleme, bei denen es gegenmenschlich, also ein Lebenskunstfehler wäre, sie nicht zu haben, und übermenschlich, also ein Lebenskunstfehler, sie zu lösen.« Die Maschine macht’s. [sib]
|
|
Im KI-Slot der DIVE’25 sprach der Wiener Disruptive-Experte Markus Petzl über exponentielles Wachstum, die Intelligence Staircase und die Begrenztheit der Menschen im Vergleich zur KI. Matthias Hornschuh hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für einen robusten Rechtsrahmen in Bezug auf KI und drei Agenturen (Ice Space Studios, Peter Schmidt Group, Mutabor) stellten Best Cases aus ihrem Alltag vor. Im anschließenden Panel wurde das Spannungsfeld von Design, Technologie und Regulierung konstruktiv diskutiert.
|
|
orgía x art basel | VIDEO
|
|
Ein dichtes, schweres Gewirk von Klängen oder eher Geräusch. Rauschen wie der Druck in unendlichen Tiefen, dazwischen aufsteigende Luftbläschen, die an die Oberfläche trudeln, Wasserperlen – vor rauh strukturierter Oberfläche ist der Begriff DIVE als Stimulus auf dem Screen aufgetaucht, der tempogebende Balken läuft, wir sieben Musiker·innen, drei Profis – Claudius Lazzeroni, Ulrich Müller und Patrick Schimanski – und vier zwischen wagemutig und vage mutig schwankende Laien, die die Neugier in diesen Improvisations-Workshop getrieben hat, versinken völlig in unserem Tun: mit elektronischen Instrumenten wie der Soma Synths Pipe, einem MaKey MaKey, das, sobald man mit Berührung den Stromkreis schließt, vorprogrammierte Samples abruft, einem mit Kontaktmikrofon zur prozessierten Artikulation befähigten Mülleimer und elektronischem Schlagzeug Klangcollagen zu bauen, pulsierend, kratzend, pfeifend, klirrend, hallend, dröhnend. Was wir alle gebannt im Blick haben, ist der Bildschirm, der gemäß Lazzeronis eigens entwickelter dynamischer Notationsmethode durch bildliche und sprachliche Elemente einen interaktiven Handlungsrahmen setzt, in dem sich Improvisationsmusiker völlig frei und doch konzertiert bewegen können.
Wie sich das Ganze schließlich anhörte? Ich kann es nur ahnen, denn ich ging vollkommen in meiner – zugegebenermaßen marginalen – Aufgabe auf, drei Metallhütchen rhythmischen Sound zu entlocken. Aber wer es genau wissen muss, das waren die gar nicht mal so wenigen Zuhörer·innen, die den Carl-Orff-Saal füllten. Denn ja, als ich mich experimentierfreudig in den Workshop schlich, hatte ich nicht realisiert, dass wir alle Teil der angekündigten Live-Intervention werden würden – die offene Bühne zählt ja nicht unbedingt zu meinen Komfortzonen. Aber, und das war die faszinierendste Erfahrung dieses Tages: Neurophysiologisch betrachtet aktiviert Improvisation ein Netzwerk aus präfrontalem Cortex, supplementär-motorischem Areal und limbischem System, sodass das Gehirn den Modus der Kontrolle zugunsten eines dynamischen Flows verlässt, oder anders ausgedrückt: Improvisation ist kontrolliertes Loslassen, und das macht verdammt viel Spaß! [sib]
|
|
»Manche Probleme sind so komplex, dass man hochintelligent und gut informiert sein muss, um bei ihnen unentschieden zu sein« – sagt der kanadische Pädagoge Laurence J. Peter. Das bedeutet im Umkehrschluss: Die echten Herausforderungen der Welt sind gar nicht zu meistern, von einem Dummen nicht, weil ihm der Verstand fehlt, von einem Ungebildeten nicht, weil ihm das Wissen fehlt, von einem Genie nicht, weil es an der Erkenntnis der Unabwägbarkeiten aller Optionen scheitert.
Aber Alois der Löwe, Oskar der Elefant und Leopold die Giraffe stehen vor riesigen Herausforderungen: Sie sehen, dass die Welt kurz vorm Untergang ist, gepeinigt von Kriegen, Hungersnöten, Umweltkatastrophen, und sie müssen handeln. Was also tun sie? Es macht sich nicht jeder für sich in seinen Lieblingsbüchern schlau, grübelt im stillen Kämmerlein nach und versucht vergeblich, im Selbstgespräch Für und Wider abzuwägen. Erich Kästner lässt sie Die Konferenz der Tiere einberufen. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen her, von conferre, an einer Stelle zusammentragen, gegenseitig mitteilen; es geht um Problemlösungen und Entscheidungsfindung zu relevanten Themen: zusammengetragen werden Informationen, hochkarätiges Wissen von Experten aus verschiedenen Perspektiven, erst einmal nicht mehr als ein stabiles, einheitliches Fundament für alle. Aber gegenseitig mitgeteilt werden auf dieser Basis persönliche Ansichten, Meinungen, Erwartungen, Erfahrungshorizonte, ja, auch Emotionen. Denn nichts hilft besser gegen den allzu naiven Realismus – dem oftmals auch (berufs-)gruppenweiten Glauben, die Dinge seien eben genau so, wie wir sie sehen – als der (gerne auch interdisziplinäre) Austausch mit anderen. [sib]
|
|
Tatsächlich gibt es auch bei Tieren etwas, das unseren Konferenzen entspricht: Das mehr ist als bloße Versammlungen zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und zur Klärung von Rangordnungen. Wölfe oder Löwen, die in Gruppen zusammen jagen, tauschen sich vorher in einer Art Planungsphase zu ihrer Strategie aus, Gnus treffen sich vor ihren Wanderungen am Sammelplatz, wo sie ihre Route festlegen. Welche Formate da wohl bevorzugt werden? Fishbowl, Podiumsdiskussion, Workshop oder Speed-Networking?
|
|
Der Status? Krisengebeutelt, verwirrt, schockgelähmt. Als hätte das Endspiel der Menschheit schon begonnen. Da wachsen Sehnsuchtsgebirge. Dort nämlich wäre Heilung. Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Rücksichtnahme. Ein gutes Leben. Transformation nennen wir die Strecke von der unhaltbaren Gegenwart in eine lebenswerte Zukunft. Das ist keine Kurzstrecke. Sie berührt alle Themenbereiche des Daseins, sozial-ökologische, technisch-ökonomische, politisch-gesellschaftliche. Wege sind in solchen Prozessen keineswegs geradlinig, alte und neue Routen laufen neben-, über- und gegeneinander. Auch auf Teilstrecken warten Irrwege, Umwege, Sackgassen. Doch tauchen in neuen Spuren auch ungewohnte Blickwinkel auf, Neuland, Fragezeichen, aus denen Möglichkeiten wachsen können, Ideen, Sinn. »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind«, sagt Albert Einstein.
Menschen, die man gern als Kreative (gleich welcher Couleur) bezeichnet, scheuen sich nicht vor komplexen Systemen. Neugierig, mit offenem Geist stürzen sie sich ins Unbekannte, sammeln Fragmente, suchen Austausch, stellen Fragen, hören zu, können mit mehreren Wahrheiten umgehen. Sie imaginieren Brücken, wo andere Gräben sehen. Fehler ermutigen sie zum tieferen Schürfen. Sie forschen, lernen und träumen gerne. Wenn es notwendig und sinnvoll erscheint, finden sie Strategien, wie aus ihren Träumen Wirklichkeit werden kann. Da ist beispielsweise Nienke Hoogvliet, die Seetang und Fischhaut in Teppiche, Stoffe und Leder verwandelt. Oder Norman Forster, der mit Architekturstudenten·innen menschenwürdige, zirkuläre Flüchtlingsunterkünfte schafft: Die Baukosten für eine 18-Quadratmeter-Variante liegen bei etwa 4000 €. Oder Peter Rich, der in Südafrika unter Einbeziehung der Bevölkerung und ihrer Kultur das Mapungubwe Besucherzentrum baut und die CO2-Bilanz um fast 80% reduziert. Transformationsprozesse öffnen neue Perspektiven. Abwarten ist keine Option. [gw]
|
|
Im Buch Wir können auch anders fordern die Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung, Maja Göpel und Co-Autor Marcus Jauer dazu auf, Herausforderungen weniger zu bekämpfen als viel mehr zu gestalten. Ein Interview mit der Mutmacherin findet sich in der ARD-Mediathek.
|
|
TENGO UN DRAGÓN DENTRO DEL CORAZÓN
|
|
Immer wieder brandete spontaner Applaus auf, als Jörg Sommer, Direktor des Berlin Instituts für Partizipation, über Demokratie und Partizipation sprach und über die Rolle, die Designer·innen dabei spielen können. Und das vor doppeltem Hintergrund: nicht nur, dass auf den Tag genau vor achtzig Jahren die Wehrmacht bedingungslos kapituliert hatte und das Ende des Zweiten Weltkrieges besiegelt war. Sondern auch, dass die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem erst wenige Tage zuvor für Schlagzeilen und Debatten gesorgt hatte. Mehr historischer Impact und tagespolitische Brisanz gingen kaum und übertrugen sich spürbar aufs hochkonzentrierte Publikum. Ursachenforschung für den wachsenden Zuspruch, den die AfD erfährt, betrieb Sommer auch gleich und verwies auf die Forschungsarbeit des Psychologen Martin Seligman, die als erlernte Hilflosigkeit bekannt wurde. Kurz gefasst ist das eine depressive Form der Passivität bei Mensch und Tier, die durch das Gefühl ausgelöst wird, keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben.
Dem setzt Sommer den Begriff der Selbstwirksamkeit entgegen, die freilich auch erlernt sein will – zum Beispiel durch aktive Teilhabe an politischen Prozessen und die Erfahrung, allen Unkenrufen zum Trotz doch gesellschaftlich etwas bewirken zu können. Ein Vortrag also auch als designpolitische Ertüchtigungsübung in Sachen gelebter Demokratie. Sommer skizzierte Design dabei als Handwerk – eben nicht der Aufhübschung von Dingen und Inhalten dienend, sondern der Verklarung, der Vermittlung und der Multiplikation, das nicht unwesentlich zur Stärkung der Demokratie als ein Bürger·innen-Werk beitragen kann. Wenig überraschend, dass danach der Workshopraum überfüllt war, in den Ralph Habich vom Forum für Entwerfen zur Nachbearbeitung unter etwas anderem Blickwinkel geladen hatte. Wie lässt sich individuelle Verantwortung in gemeinschaftliches, demokratisches Handeln überführen, wie zivilgesellschaftliches Engagement stärken, wie sichtbarer, wirksamer machen? Dabei entstand so etwas wie ein demokratischer Möglichkeitsraum aus Gedanken und Fragestellungen, die bis ins Utopische hineinragten und allein die Fülle der Ideen, die zusammengetragen wurden, zeigt: Es geht was und es geht bestimmt noch mehr und das durchaus lustvoll, wenn nur die richtigen Impulse gesetzt werden – so wie Sommer und Habich es vorgemacht haben. [um]
|
|
Eigentlich war er ja nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, der Bericht, mit dem der Verfassungsschutz die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem begründet. Aber wie schon so oft ist der SPIEGEL an das mehr als tausend Seiten starke Papier gekommen und hat jetzt eine erste Auswertung veröffentlicht.
|
|
Veranstaltungen,
Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion |
|
Neue Sammlung: 100 Jahre – 100 Objekte
|
100 Jahre nach ihrer Gründung präsentiert sich die Die Neue Sammlung mit einer Ausstellung von 100 Objekten in der Pinakothek der Moderne in München. Zeitgenössisches Design systematisch zu erfassen ist das Ziel der Neuen Sammlung – ob direkt vom Bauhaus, über Messen oder durch Schenkungen. Die ersten Schwerpunkte lagen auf seriellen und kunsthandwerklichen Erzeugnissen sowie Verpackungen, Plakaten und Büchern. In den Nachkriegsjahren rückten technische Geräte und Serienprodukte in den Fokus, später fanden auch fotografische Arbeiten, grafische Erscheinungsbilder und revolutionäres Anti-Design Eingang in die Sammlung. Mit dem Jubiläum präsentiert Die Neue Sammlung auch erstmals einen Teil ihrer Sammlung digital. Über 1.000 Objekte lassen sich online erkunden – darunter auch die Highlights der Sammlung.
|
|
Mehr Frauen in die Architektur
|
In Deutschland gibt es noch eine ganze Reihe von Berufsfeldern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind – die Architektur gehört dazu. Vom 19. bis 29. Juni 2025 macht das Women in Architecture Festival (WIA) bundesweit mit 265 Veranstaltungen in über 200 Initiativen auf die Leistungen und Anliegen von Architektinnen aufmerksam. Mit Ausstellungen, Workshops, Lesungen und Konferenzen widmet sich das Festival Themen wie Chancengleichheit im Berufsalltag, Diversität in Planung und Bau sowie gendersensibler Stadtentwicklung. Es geht um faire Bezahlung, die Förderung des Nachwuchses und die Beseitigung der Gender Pay Gap. Mit dem WIA25 SUMMIT findet das Festival seinen krönenden Abschluss: Am 8. Juli kommen in der Berliner Urania über 200 Akteure und Akteurinnen aus der Baukultur zusammen, um Perspektiven zu teilen und Allianzen zu stärken.
|
|
|
|
Einige von uns könnten Bonjour sagen, andere Good Morning, wieder andere Guten Morgen, die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall aber … kann das auf Schimpansisch.
|
|
Seit der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir für auf uns auf Empfehlung eines Lesers entschieden: »Der Mittelpunkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lesefluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Textlücken reißt wie der Gender_Gap.« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mediopunkt oder eine andere Form benutzen. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechtsneutral zu verstehen.
|
|
|
Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Steinerstraße 15c, 81369 München, boriskochan.com, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 in Verbindung mit Kochan & Partner GmbH, Steinerstraße 15c, 81369 München, news@kochan.de
Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Kalender: Antje Dohmann [ad]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk]; Homepage und Newsletter-Technik: Pavlo Kochan [pk]; Basisgestaltung: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger, beide zu beziehen über TypeTogether; Versand über Mailjet.
Bildnachweis: Bilder: © Carlota Guerrero Kalender: Ausstellungsansicht der Ausstellung 100 JAHRE – 100 OBJEKTE. ZUM 100 JÄHRIGEN BESTEHEN DER NEUEN SAMMLUNG / Foto: Die Neue Sammlung – The Design Museum, Gerhardt Kellermann
|
|
|
|
|
|
|
|