ei8ht days a week – Streifzüge durch den Wandel
|
mit Boris Kochan und Freunden am 10. November 2024 |
|
{% if data:du_version:"" %}[[data:du_version]],{% elseif data:anrede == "Herr" %}Lieber Herr [[data:lastname]],{% elseif data:anrede == "Frau" %}
Liebe Frau [[data:lastname]],{% else %}Sehr geehrte Damen und Herren,{% endif %}
»So. Doof.« soll Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem als lang empfundenen Schweigen am denkwürdigen Mittwoch dieser Woche gesagt haben. Zuvor hatte er in einem seiner typischen ausufernden Schachtelsätze, »dann, lieber Christian, möchte ich nicht mehr, dass Du meinem Kabinett angehörst und werde morgen früh dem Bundespräsidenten mitteilen, dass Du entlassen wirst«, einen Schlussstrich unter die quälenden Auseinandersetzungen der letzten Wochen gezogen. Und der geschasste Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner war wohl irgendwie auch resigniert-erleichtert, wenn er kommentierte, dass es nun immerhin Klarheit gebe. »Nichts zu machen« musste ich unwillkürlich denken und tauchte damit ein in die resignativ-absurde Grundstimmung von Samuel Becketts Stück Warten auf Godot. Diese drei Worte markieren nicht nur den Anfang, sondern werden im Folgenden fast mantraartig wiederholt. Irgendwo zwischen Vorherbestimmtheit und Zufälligkeit schwanken nicht nur die Akteure in Becketts Stück – sondern ebenso die Ereignisse im Bundestheater. In dem es allzu oft nicht um Verantwortlichkeit oder gar Gemeinsamkeit geht, sondern nur um den persönlichen, allerhöchstens um den parteitaktischen Vorteil. Gar nicht sooo weit weg von US-Verhältnissen. Auch das zynische Heitere Aussichten von Wladimir in Godot könnte für die aktuelle politische Landschaft stehen. Zumal jetzt sowieso Warten angesagt ist … auf die Ergebnisse der so durchschaubaren Diskussionen über den Wahltermin in Deutschland und die Übernahme der US-Regierungsgeschäfte durch Donald Trump. Becketts Landbesitzer Pozzo, der entfernte Ähnlichkeit hat, hält das menschliche Leiden sowieso für unveränderlich: »Die Tränen der Welt sind eine konstante Menge. Für jeden, der woanders anfängt zu weinen, hört ein anderer auf.« Nichts zu machen … Mit etwas bedrückten Grüßen Boris Kochan
|
|
Warten, Pause machen, verweilen, still stehen – vielleicht sogar (dabei) denken, reflektieren. Auf jeden Fall: Untätig sein. Die drei Worte Nichts zu machen steigern dieses Warten in komplexe Mehrdeutigkeit – zwischen großer Resignation, ob der Aussichtslosigkeit eines Unterfangens, wie zugleich einer Haltung, die einfach aushält. Es gibt nichts zu machen. Nur auszuhalten – die Zeit und das Leben. Mit »die größten Ereignisse – das sind unsre stillsten Stunden« entgrenzt Friedrich Nietzsche das eben nur scheinbar Abgeschlossene des Ruhemoments. Und ist damit Pate für unsere Bildauswahl für diese 8daw-Ausgabe: Zum Beispiel ist die Arbeit von Tine Reimer und André Hemstedt The Art of Waiting für die Zeitmesser-Manufaktur A. Lange & Söhne so lässig wie strukturiert. Wie das Warten halt auch …
|
|
Von Mitternacht zu Mitternacht |
|
Eine Umdrehung der Erde – von Morgenrot zu Morgenrot, von Mitternacht zu Mitternacht: 24 Stunden hat der Tag. Diese füllen wir mit dem, was wir vermögen, lieben, was uns geschenkt, aufgetragen oder vorgesetzt ist. Flankiert von Taktgebern, Kalendern, Uhren trudeln wir durch einen Raum, in dem die Zeit gleichförmig, ungerührt in eine Richtung zu fließen scheint. Augenblicke schmelzen zu Erinnerungen. Wobei sich subjektives Zeitempfinden und objektive Zeitmessung durchaus unterscheiden können. Albert Einstein soll einmal gesagt haben: »Wenn man zwei Stunden lang mit einem Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität.« Dazu kommt, dass Zeit umso langsamer vergeht, je schneller sich ein System bewegt. Dass die Zeit »im Fluge« langsamer vergeht, lässt sich schon im Flugzeug erleben, wesentlich deutlicher allerdings bei interstellaren Reisen. Der Regisseur Christopher Nolan greift sie im Film »Interstellar« auf und wird insbesondere für die visuelle Umsetzung wissenschaftlicher Theorien mehrfach ausgezeichnet.
Die Grauen des Zweiten Weltkriegs bringen den ungarisch-amerikanischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi dazu, sich dem Glückserleben forschend zuzuwenden. Er entdeckt, dass Menschen, die sich in eine Tätigkeit vollkommen vertiefen – Zeit, Raum, sich selbst und alles um sich herum vergessen –, dieses Erleben als außerordentlich beglückend empfinden. Eine extrinsische Motivation, etwa Geld oder Lob, braucht es für dieses Erleben nicht. Die Motivation entsteht aus der Freude, die durch die Tätigkeit selbst entsteht. Mihály Csíkszentmihályi nennt diesen Zustand Flow. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. [gw]
|
|
Am Ostufer des schönen Ammersees liegt Wartaweil, heute ein Ortsteil von Herrsching. Vor Jahren hat Kochan & Partner dort den Bau eines Schullandheims für Kinder mit und ohne Beeinträchtigung kommunikativ begleitet. Nach der Bedeutung des Ortsnamens gefragt, erzählte man mir von einer Geburtsklinik, die hier wohl früher stand. Ich war’s zufrieden. Doch gibt es auch ganz andere Geschichten. Am interessantesten vielleicht die der Sprachwissenschaftlerin Barbara Blankenburg: Demnach könnte die Redewendung Wartaweil auf einen Ort hindeuten, an den man Menschen verbannt, die keiner haben will, nicht im Himmel und nicht in der Hölle. Halleluja! Vielleicht ist es nicht ganz verkehrt, noch zu Lebzeiten eine Kerze zum Heiligen Berg zu bringen.
|
|
Der entscheidende Unterschied zwischen Raum und Zeit, so brachte es der Physiker Harald Lesch auf den Punkt, ist, dass ich, wenn es im Raum eng wird, jemanden hinausschicke und er verlässt den Raum. Schicke ich aber jemanden weg, weil ich keine Zeit habe, verlässt er keineswegs die Zeit, sondern – den Raum. Denn der Raum existiert, die Zeit aber nicht, sie ist eine reine Abstraktion, die wir über Ereignisse, über sich verändernde Zustände stülpen – und doch etwas, das wir fast mehr fürchten, als alles andere auf der Welt. Warum? Weil die Zeit ganz unweigerlich zum Tod führt.
Das macht die Faszination des Zeitlosen aus: Dinge, die aus der Zeit gefallen sind, suggerieren Beständigkeit, so wie Museen, die Ausstellungsstücke aus ihrem Kontext, von ihrem Verwendungszweck lösen, um sie so zu entzeitlichen und zu bewahren. Ähnlich muss es den Amundawa, einem amazonischen Stamm, gehen, der keine Zeit kennt: kein Wort, um sie auszudrücken, keinen Kalender, keine Uhren. Tatsächlich beziehen sie sich nur auf zusammenhängende oder aufeinanderfolgende Ereignisse. Wie glücklich jene, die keine Zeit kennen, im Vergleich zu denen, die keine Zeit haben, als sei sie ein Gegenstand, den man irgendwo verloren hat – dann, ja dann könnte man sie ja vielleicht auch wieder finden, was aber schlechterdings unmöglich ist. Unter Zeitdruck beschleunigt sich alles, etwas, das der Beschleunigungstheoretiker Paul Virilio als die unheilvolle Mutation zu geschlossenen Räumen beschreibt: »Die Welt schrumpft per zeitlicher Kompression, und im Zustand des Zusammengedrücktwerdens stoßen wir pausenlos gegeneinander. So entstehen Reibungen; so entsteht Hass.«
Vielleicht sollten wir mehr auf das Dazwischen achten, die Zwischenzeiten, die das Leben in schöne, überschaubare Intervalle gliedern, die Leerstellen. Wie der Philosoph Alfred North Whitehead sagt: »Das Leben liegt in den Zwischenräumen jeder lebenden Zelle …« Oder wie Leonard Cohen singt: »There is a crack in everything, that’s how the light gets in.« [sib]
|
|
Aus: Kendimden Hallice Düser O
|
|
6,9 Minuten an der Supermarktkasse, 7,5 Tage pro Jahr im Wartezimmer beim Arzt, 38 Stunden jährlich im Stau – so viel und noch mehr Zeit verbringen wir angeblich mit Warten. Die ZEIT will wissen, dass sich das im Laufe eines Lebens zu 374 Tagen häuft. Klingt plausibel, ist aber doch auch Mumpitz, sind hier doch große, womöglich existenzielle Wartezeiten natürlich nicht eingepreist. Solche vom Schlag der 37 Monate vom 11. März 2020, als die WHO Corona zur Pandemie erklärte, bis zum 7. April 2023, als in Deutschland die Schutzmaßnahmen ausliefen. Eine verdammt lange Zeit, während derer die Menschen auf die Rückkehr in ein halbwegs normales Leben gewartet haben. Freilich gab es währenddessen auch kürzere Wartezeiten zuhauf. So konnte man auch zur Hochphase der Pandemie im Stau stecken – womöglich in einer Unterführung – und darauf warten, dass man wieder Handy-Empfang hätte, weil man schon den halben Tag auf einen Rückruf gewartet hatte und zu alledem im Nachbarort zu einem Arzttermin erwartet wurde … Wartezeiten über Wartezeiten, die sich turmhoch übereinanderstapeln, unterschiedlichen Zeitschichten ähnlich.
Richtig vertrackt wird es, wenn wir uns vorstellen, eine Zeitmaschine würde uns samt Auto ins 19. Jahrhundert befördern, denn dann wäre es beim Arzt in jenem Nachbarort vielleicht schon 12:10 Uhr, in unserem Stau hingegen gerade mal 11:55 Uhr. Wer wartet hier auf wen, wäre dann die Frage, denn damals herrschte noch Ortszeit, was etwa bei der Koordinierung von Zugfahrplänen zu erheblichem Wirrwarr führte. So »gingen die Uhren in Brest im Vergleich zu denen in Paris siebenundzwanzig Minuten nach, die in Nizza gegenüber denen in Paris zwanzig Minuten vor«, berichtet der Wissenschaftshistoriker Peter Galison. Und noch Anfang des 20. Jahrhunderts stapelten sich Patentanträge zur Synchronisierung von Uhren auf den Schreibtischen der Patentämter. So etwa in Bern, wo gerade ein gewisser Albert Einstein zum technischen Experten zweiter Klasse befördert worden war. Den Fragen, mit denen sich Einstein im Kleinklein der Uhrenpatente und im ganz Großen der Relativität von Zeit und Raum herumschlug, war man zuvor schon zwischen Uhrwerk und Weltall auf sehr irdischer, sprich geodätischer Ebene zu Leibe gerückt. 1884 wurde Greenwich dazu auserkoren, dass der Nullmeridian als Bezugspunkt von Datumsgrenze und Weltzeit fortan durch eben diesen Londoner Vorort verlaufen sollte. In Frankreich war man darüber einigermaßen verschnupft, hatte man doch Paris vorgeschlagen, nachdem sich zuvor schon Rom, Kopenhagen oder Sankt Petersburg und andere um dieses Privileg gekabbelt hatten. Letztlich waren es die Handelsgroßmächte Großbritannien und USA, die Greenwich durchsetzten. Die Frage nach der Uhrzeit ist also auch eine Frage von Macht und Geld. Und auch die Zeitumstellung, die uns am 27. Oktober ereilt hat, verdanken wir der Politik, denn um Energieeinsparungen sollte es dabei gehen. Glaubt man dem Umweltbundesamt, lassen sich belastbare Zahlen dazu leider nicht ermitteln. Das missliche Jetlag-Gefühl bei der Umstellung auf Sommerzeit scheint jedoch ebenso wie das lange Warten auf die Abschaffung der Zeitumstellung zu einem Ende zu kommen. Wie die Frankfurter Rundschau kürzlich berichtete, wird nun ausgerechnet in der Ukraine die EU Empfehlung zu deren Abschaffung umgesetzt – und das nicht zuletzt aus strategischen Gründen. Das letzte Wort darüber, wie spät es ist, hat allemal die Politik. [um]
|
|
Fotos: Tine Reimer und André Hemstedt
|
|
Veranstaltungen,
Ausstellungen und mehr aus dem Umfeld der 8daw-Redaktion |
|
munich creative business week
|
Es ist zwar noch eine Weile hin, aber den Termin kann man sich ruhig schon mal vormerken. Die munich creative business week (mcbw), veranstaltet von bayern design, ist eine Plattform für frische Ideen, Trends und Kreativität. Sie fördert den Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen und ermöglicht es, Design auf vielfältige Weise zu erleben. Neun Tage lang kommen Designer·innen, Fachleute, Unternehmen und Studierende aus Bereichen wie Design, Architektur und Wirtschaft in München zusammen – ebenso wie ein breites Publikum. Das Motto 2025 lautet »How to design a vibrant community« – in einer Zeit, in der das Trennende stärker spürbar ist als das Einende, ein sehr gutes und wichtiges Thema.
|
|
Zugängliche Kultur im Design für alle
|
Inklusion ist im Kulturbereich ein wichtiges Anliegen und viele Akteur·innen wollen Barrierefreiheit ermöglichen. Aber Rahmenbedingungen wie Gestaltungskonzepte, Denkmalschutz, Personalmangel und knappe Budgets machen die Umsetzung nicht immer einfach. Das Kompetenznetzwerk Design für Alle – Deutschland e.V. (EDAD) veranstaltet am 18. November in Lübeck die hybride Veranstaltung »Zugängliche Kultur im Design für Alle«. Thematisiert wird, wie die Herausforderungen von Inklusion zu meistern sind und gleichzeitig komfortable und attraktive Mehrwerte entstehen. In kleiner Runde geht es um inspirierende Beispiele, Projekte und Lösungen – und natürlich gibt es Raum für Austausch.
|
|
|
|
Seit der 8daw-Ausgabe BETA #13 vom 24. Juli 2020 haben wir für auf uns auf Empfehlung eines Lesers entschieden: »Der Mittelpunkt (MacOS: Shift+Alt+9; Windows: Alt+0183) wird eingesetzt wie der Asterisk *, stört jedoch deutlich weniger den Lesefluss der Leser·innen, weil er nicht nach Fußnoten ruft und auch keine Textlücken reißt wie der Gender_Gap.« Wir stellen unseren Autor·innen jedoch frei, ob sie den Mediopunkt oder eine andere Form benutzen. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind jedenfalls geschlechtsneutral zu verstehen.
|
|
|
Herausgeber und Chefredakteur von 8daw sowie verantwortlich im Sinne des Presserechts ist Boris Kochan [bk], Steinerstraße 15c, 81369 München, boriskochan.com, zu erreichen unter boris.kochan@eightdaw.com oder +49 89 178 60-900 in Verbindung mit Kochan & Partner GmbH, Steinerstraße 15c, 81369 München, news@kochan.de
Redaktion: Ulrich Müller [um] und Gabriele Werner [gw]; Chefin vom Dienst/Lektorat: Sigrun Borstelmann [sib]; Kalender: Antje Dohmann [ad]; Regelmäßige Autoren: Markus Greve [mg], Sandra Hachmann [sh], Herbert Lechner [hel], Martin Summ [mas]; Illustrationen: Martina Wember [mwe]; Bildredaktion, Photo-Editing: Pavlo Kochan [pk]; Homepage und Newsletter-Technik: Pavlo Kochan [pk]; Basisgestaltung: Michael Bundscherer [mib]; Schriften: Tablet Gothic von Veronika Burian und José Scaglione sowie Coranto 2 von Gerard Unger, beide zu beziehen über TypeTogether; Versand über Mailjet.
Bildnachweis: Helena Almeida Aus: Kendimden Hallice Düser O Fotos: Tine Reimer und André Hemstedt
|
|
|
|
|
|
|
|