Gedichte von Eugenio Montale
Eugenio Montale wurde 1896 als Sohn einer wohlhabenden, ligurischen Bürgerfamilie in Genua geboren. Die Küstenlandschaft seiner Heimatregion hinterlässt einen bleibenden Eindruck auf ihn – der sich auch in seiner Lyrik widerspiegelt. Kurze Zeit verbringt er als Offizier an der Front des 1. Weltkrieges. Seine ersten Gedichte veröffentlicht er in der 1922 von ihm und Sergio Solmi sowie Giacomo Debenedetti gegründeten Zeitschrift Primo Tempo. 1925 erscheint sein erster Gedichtband unter dem Titel Ossi di seppia (Die Knochen eines Tintenfisches) beim Verlag des befreundeten Piero Gobetti. In Florenz übernimmt er ab 1929 die Leitung des Kulturinstituts Gabinetto Vieusseux, muss diese Stellung jedoch 1938 aufgrund seiner bekennenden antifaschistischen Haltung wieder abgeben. Nach seiner Entlassung widmet er sich journalistischen Tätigkeiten bei unterschiedlichen Zeitungen und übersetzt Werke zum Beispiel von Shakespeare, Cervantes, Corneille, Steinbeck, Elliot. 1956 erscheint sein dritter großer Gedichtband mit dem Titel La bufera e altro (Der Sturmwind und anderes). 1948 zieht er nach Mailand und arbeitet dort u.a. als Redakteur beim Corriere della Sera. 1967 kommt ihm die Ehre der Ernennung zum Senator auf Lebenszeit zuteil und 1975 erhält er schließlich den Literaturnobelpreis (nach der Seminararbeit von Ilka Dischereit).
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Kleines Testament
Was da aufglimmt des Nachts
in der Kapsel meiner Gedanken, perlmutterschimmernde Schneckenspur
oder Schmirgel zerstampften Glases,
ist kein Licht von Kirchen oder Fabriken,
das rotem oder schwarzem
Kleriker leuchtet.
Nur dieses Irisglimmen kann ich
dir hinterlassen zum Zeugnis
eines erkämpften Glaubens,
einer Hoffnung, die langsamer brannte
als ein harter Klotz in der Herdglut.
Bewahr‘ dir den Puder davon im Döschen,
wenn alle Lampen erloschen sind
und die Sardana höllisch wird,
und ein schattiger Luzifer niederfährt auf einem Bug die Themse, den Hudson, die Seine,
schüttelnd die teerigen, von der Mühsal halb gestutzten Flügel, um dir zu sagen: ́s ist Zeit. Keine Erbschaft, kein Glücksbringer
schützt vor dem Ansturm der Monsune
auf dem Spinngeweb der Erinnerung,
doch eine Geschichte dauert nur in der Asche,
und bleibend ist nur das Erlöschen.
Gut war das Zeichen: Wer es erkannt hat,
kann nicht scheitern auf der Suche nach dir.
Jeder erkennt die seinen: Der Stolz
war nicht Flucht, die Demut war nicht
feige, das schwache Aufflackern dort unten
war nicht das eines Streichholzes.
Frag uns nicht nach dem Wort, das allseits begrenze
die formlose Seele uns, sie beschrifte
mit feurigen Lettern und wie ein Krokus erglänze,
verloren auf staubiger Wiese.
Ach, wie der Mensch so sicher seines Weges geht,
den andern und sich selber freund,
nicht achtend seines Schattens, den die Hundstagssonne
auf eine verwitterte Mauer prägt!
Von uns verlange nicht die Formel, die Welten öffne –
nein, ein paar Silben nur, wie Reisig krumm und trocken.
Nur eines ist’s, das heut wir sagen können:
was nicht wir sind, was nicht wir wollen.
(aus: Wer Licht abgibt, setzt sich der Sonne aus)